Beobachtungen und Gedanken während einer langen GRASH-Fahrt
»Zum Glück hat es mit wenig Regen angefangen und sich dann gesteigert.
– so gewöhnt man sich viel besser dran.«
»Klasse, dass wir jetzt Gegenwind haben. So haben wir den Wind in der zweiten Hälfte von hinten!«
»Wenn keine Tankstelle kommt, gibt man auch nix für unnützen Süsskram aus, sondern isst die eigenen Riegel.«
Nein, diese Sprüche habe ich mir nicht ausgedacht. Sie sind wirklich so auf der GRASH-300-Strecke gefallen – und es ist nur ein winziger Ausschnitt aus den Gesprächen zweier unverbesserlicher Optimisten.
Ob ich die 327 km schaffe, wusste ich nicht. Das weiß natürlich niemand vorher, aber es gab berechtigte Zweifel, wie gut ich das mit wenig Jahreskilometern und keinem explizitem Training durchstehe. Noch dazu, ob mein Plan, eben keinen Plan zu haben aufgeht. Einpacken was man so denkt und das Abenteuer auf sich zukommen lassen. Kommt ja wahrscheinlich eh anders.
Dass ich mit Cedrik, dem jüngsten Teilnehmer zusammen fahre und wir auf der Fahrt ein Team bilden, ergab sich nach der ersten Hälfte bis zum Bungsberg. Mein Tempo war bewusst niedrig, da ich das ganze Unterfangen schwer einschätzen konnte. Er hat sich eher darauf eingestellt und wäre sonst bestimmt schneller gefahren. Bei den ersten Regenschauern nach ca. 100km fing es an, dass wir uns die restliche Strecke ausgemalt und schön geredet haben. Dass ich selbst immer versuche, in wirklich allem immer das kleine Fünkchen Positives zu suchen, weiß ich. Und auch, dass ich damit einigen Mitmenschen gehörig auf die Nerven gehen kann. Doch zusammen waren Cedrik und ich ein Optimisten-Dreamteam:
»Am Wendepunkt haben wir ja schon über die Hälfte!« – »Und dann gibt’s nur noch Rückenwind!« – »Vor Bad Oldesloe können wir bestimmt gut frühstücken.« – »Und Bad Oldesloe fühlt sich schon fast wie zu Hause an!«
Resümee: Der Kopf ist schon im Ziel. Nur der Hintern muss noch hin.
In Neumünster trafen wir dann auf andere GRASH-Mitstreiter. Das hörte sich bei denen schon anders an. »So ein Mistwetter!« gab es zur Begrüssung. Dass einer der beiden die Tour an dieser Stelle beenden musste, hat verständlicherweise die Laune nicht gebessert.
Er hat sich uns angeschlossen, zu dritt ging es dann weiter in die Dunkelheit, dicker Regen ließ nicht lange auf sich warten.
Wir hatten vorgewarnt, dass Cedrik und ich sicherlich ein langsameres Tempo fahren als er (mein Motto „Slow Steaming“, siehe auch wikipedia – wurde inzwischen zum inoffiziellen Teamnamen). Grummelnd ob des Wetters, der beschlagenen Brille oder der fiesen Strecke fuhr er meist voraus. Zugegeben, wenn man nass bis auf die Knochen sein Rad im Dunkeln durch den Wald schiebt, jubele auch ich nicht. Aber selbst hier: »Zum Glück sind wir eh komplett nass, da macht es keinen Unterschied, ob ich auch noch durch den Matsch stiefele« (im Übrigen: ein Hoch auf die wasserdichten Socken von Sealskinz). Cedrik und ich haben es uns mehr und mehr zum Sport gemacht, auch bei diesen Bedingungen noch Positives zu sehen.
Im letzten Stück vor der „Tiefsten Landstelle“ kamen schnellere Fahrer von hinten. Das passte besser zum gewünschten Tempo unseres Mitstreiters. So haben wir wie geplant zu zweit in der Schutzhütte eine längere Pause gemacht und eingewickelt in Notfalldecken auch etwas geschlafen (und beschlossen: die nächste Anschaffung ist ein Biwackschlafsack).
Mit dem vorausgesagten Rückenwind ging es auf mittlerweile abgetrockneten Straßen gegen halb drei weiter. Die gute Laune bekam ihren ersten Dämpfer durch die „grüne Hölle“. Ein 4km langer, nicht enden wollender Rasenweg, der kurz vor Sonnenaufgang alle Konzentration forderte. Wie redet man sich den schön? «Stell dir vor, wie man hier als Pessimist durchfährt: da hat man vor lauter Gemecker wahrscheinlich keine Puste mehr!« Zack – Grinsen im Gesicht, weiter geht.
Drohender Sekundenschlaf hat uns zu einem 20-minütigen Powernap am Wegesrand gebracht, die Erholung dadurch war enorm. Einen weiteren Push gab dann das Frühstück in der Sonne vor einer großartige Bäckerei in Schmalfeld. Mit solch guten Vibes ist man kaum mehr zu stoppen.
Denkt man.
Doch keine 15 Minuten später kam für Cedrik das technische Aus: gebrochenes Schaltröllchen. Ob durch einen Ast oder Materialermüdung: nach gemeinsamen 245km musste ich leider alleine weiter.
Und hier zeigt sich der unverbesserliche Optimist: »Habe ich ein Glück, dass mir das erst jetzt passiert – und nicht etwa gestern Nacht im Regen. So kann ich bei gutem Wetter auf meinen Vater warten« und um es zu toppen: »Ausserdem habe ich ja noch mein Rennrad und jetzt genügend Kraft, dass ich morgen die Permanente mitfahren kann.« Kein Gejammer, kein Gemecker. Einfach nach vorne gucken und das Beste aus dem Schlamassel machen.
Meine Empfehlung: schaut euch etwas von dieser Einstellung ab.
»Das tolle am Tiefpunkt ist: ab jetzt geht es nur noch bergauf!«
Achja: die Strecke habe ich zu stolz Ende gebracht. Bei den 22km Rückweg nach Hause war dann aber auch die Luft raus – da gab es dann auch wieder Gegenwind…